Und nach der Apotheke: Ab ins Kino!

Nostalgie in Schwarzweiß: das mittlerweile geschlossene Filmtheater „Colosseum“ in Berlin.

Schöne Bilder aus fremden Ländern sehen, anderen Menschen beim Leben zugucken – und über das eigene Leben nachdenken: Wo geht das besser, als im Kino? Wir stellen drei aktuelle Filme vor, die den Blick weiten und die Gedanken anschieben. Da verwundert es nicht, dass alle drei auf einer literarischen Vorlage beruhen.

The Power of the Dog

Der amerikanische Westen in den 1920er Jahren, irgendwo in der Prärie von Montana: Die Burbank-Brüder betreiben dort gemeinsam eine Ranch. Doch während der eine, Phil (Benedict Cumberbatch), als ungehobeltes Rauhbein Rinder, Cowboys und auch alle anderen Menschen vor sich her treibt, reitet sein Bruder George (Jesse Plemons) im schwarzen Anzug zum Viehtrieb. Ein stiller, freundlicher Zeitgenosse, der mehr dem Schönen und der Kunst zugeneigt ist.

Als George seine neu angetraute, fragile Frau Ruth (Kirsten Dunst) – eine Witwe, die zusammen mit ihrem Sohn Peter ein Gasthaus für Cowboys betrieben hat – auf den Landsitz und damit ins opulente Herrenhaus bringt, weitet sich der Graben zwischen den Brüdern. So richtig in Bewegung kommt die Konstellation, als Phil Interesse an Ruths Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) zeigt …

Hochdekoriert

Elegant verwebt die Regisseurin Jane Campion den Western mit einem Krimi, die Liebesgeschichten mit der Suche nach Eigenständigkeit. Die 67-jährige Neuseeländerin hat vor fast dreißig Jahren mit „Das Piano“ als erste Regisseurin in Cannes die Goldene Palme gewonnen. Nun entführt sie uns mit Bravour in einen wirklich „wilden“ amerikanischen Westen. Basierend auf dem Roman „The Power of the Dog“ von Thomas Savage, lotet Campion das komplette traditionelle Männlichkeitsbild der Westernhelden aus. Sie stellt eingefahrene Rollenbilder in Frage und gern auch auf den Kopf. Dazu passt auch, die Rolle des Phil mit dem smarten Benedict Cumberbatch zu besetzen.

In der Filmwelt kam das Opus gut an:  „The Power of the Dog“ hat kürzlich den Golden Globe als bestes Filmdrama gewonnen. Jane Campion und der australische Nebendarsteller Kodi Smit-McPhee wurden ebenfalls mit einer Globe-Trophäe geehrt.

Fazit

Jane Campion liefert das fesselnde Portrait einer Gesellschaft zwischen Wildnis und Zivilisation, zwischen rauem Ranchleben und kammerspielartiger Atmosphäre im Herrenhaus. Wer Western liebt, kommt in diesem Film voll auf seine Kosten. Dazu tragen nicht zuletzt die herrlichen Landschaftsaufnahmen aus Neuseeland bei: Dort wurde der Western gedreht. Und das famos von Kamerafrau Ari Wegner.

Niemand ist bei den Kälbern

Hinter dem Horizont geht’s weiter? Nicht für die Menschen in diesem Film: nicht für die Männer – die jungen wie die alten – die sich dem Suff ergeben, nicht für die Frauen, die diesen Suff aushalten müssen oder ihm gleich selbst verfallen. Das Rackern auf den Höfen hat sie alle stumpf gemacht. Sex, Suff und Schläge kommen da gern mal zusammen.

Filmtipp zwei spielt ebenfalls auf dem Land, doch nicht in Montana sondern in Mecklenburg-Vorpommern. Wer sich Landidyll erwartet, wird allerdings enttäuscht: Der Film bietet alles andere als Landlustambiente. Vielmehr konfrontiert er die Zuschauer mit einer ungeheuren Lethargie. Nahezu alle auf diesem Bauerndorf sind davon infiziert. Die junge Christin hält das nicht mehr aus, sie will weg – und schwimmt doch mit im Sumpf aus Suff, Sex und Gewalt.

Ab und an jedoch nimmt sie Witterung auf, wie das Leben denn sein könnte und wir Zuschauer hoffen, dass sie diesen Moment des Luftholens nutzt, um der Landtristesse zu entfliehen – koste es, was es wolle.

Shootingstar

Saskia Rosendahl spielt diese Christin in der Verfilmung des Bestsellers von Alina Herbing (Regie: Sabrina Sarabi). Und sie ist wie stets phänomenal. Zuletzt im Kino zu sehen in „Fabian – oder der Gang vor die Hunde“, zuvor auch in der Serie „Babylon Berlin“ entzückt die 1993 in Halle an der Saale geborene Schauspielerin seit Jahren Zuschauer und Fachwelt. Für die weibliche Hauptrolle in Dominik Grafs „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ wurde sie beispielsweise für den Deutschen Filmpreis nominiert, beim Filmfestival in Locarno für ihre Rolle als Christin als beste Darstellerin des Wettbewerbs Concorso Cineasti del presente ausgezeichnet.

Fazit

Eine harte Geschichte über das Landleben, die Regisseurin Sabrina Sarabi mit teils herrlich idyllischen, sommerlichen Bildern unterlegt. Und die nicht zuletzt ihre fabelhafte Hauptdarstellerin so sehenswert macht.

Drive my Car

Wer längst schon mal mit dem Auto durch Japan fahren wollte, sollte bei „Drive my Car“ einsteigen. Allerdings sollte er wissen: Was hier als Roadmovie daher kommt, ist die Geschichte einer Selbstfindung. Der Theaterregisseur und Schauspieler Yusuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) erklärt sich ein paar Jahre nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Oto bereit, in Hiroshima ein Tschechow-Stück zu inszenieren. Dort angekommen, wird er umgehend mit seiner Vergangenheit konfrontiert: Der junge Liebhaber seiner Frau bewirbt sich um eine Rolle in dem Stück.

Damit nicht genug, besteht die Theaterleitung darauf, dass Kafuku sein Auto – seinen heißgeliebten roten Saab – aus Versicherungsgründen nicht selbst fahren dürfte. Die Fahrerin Misaki (Toko Miura), akzeptiert er nur widerwillig. Die junge, schweigsame Frau, die er zunächst nur mit Misstrauen beäugt, erweist sich aber nicht nur als Top-Driver und autoaffin. Sie entpuppt sich auch als sehr lebenserfahren, ja lebensklug.

Epos mit Emotionen

Regisseur Ryusuke Hamaguchi verwebt die Autofahrten der beiden mit mit den Theaterproben und den Auseinandersetzungen zwischen dem Witwer und dem ehemaligen Liebhaber seiner Frau. Herausgekommen ist ein emotional aufgeladenes Filmepos, zu dem sich Hamaguchi von einer Kurzgeschichte seines Landsmanns Haruki Marukami inspirieren ließ.

Fazit

Wer Filme aus dem asiatischen Raum liebt, wird auch diesen lieben. Und sich nicht nur an den komplizierten Geschichten erfreuen sondern auch an der liebevollen Hommage des Regisseurs an die Stadt Hiroshima – und an der Hommage fürs Rauchen beim Autofahren (phantastisch: Abaschen aus dem Schiebedach).

@Foto: kangi