Und nach der Apotheke: Ab ins Kino!

Ein Stuhl als Hauptdarsteller: der Monobloc. Gibt’s auch in Grün.

Auch wenn heute die Berlinale 2022 beginnt: Es gibt noch Kino abseits des Festivals. Das zeigen unsere aktuellen Filmtipps: mit einem Stuhl als Hauptdarsteller, einem tschechischen Heiler und dem selbstironischen „wunderschönen“ Blick einer jungen deutschen Regisseurin auf die Probleme, die viele Frauen mit ihrem Selbstbild haben.

Monobloc

Dieser Stuhl ist ein Phänomen. Er ist günstig, stabil, leicht, gut zu stapeln und nimmt schlechtes Wetter nicht krumm. Der „Monobloc“ ist ein einfacher, weißer Plastikstuhl dem man überall auf der Welt begegnet – vor der italienischen Pizzeria ebenso wie  an norwegischen Fjorden oder auf bayerischen Voralpenterrassen. Und hier wie dort rümpfen Design-Anhänger seit jeher die Nase über den Alleskönner. Erfunden hatte ihn einst der französische Designer Henry Massonnet, produziert wird er seit anfangs der 1970er Jahre.

Ein Stuhl als Star

Auch Filmemacher Hauke Wendler hatte mit dem Spritzgussobjekt aus Polypropylen zunächst so seine Probleme: „Am Anfang war der Monobloc-Plastikstuhl für mich ein lächerliches Objekt“, so sagt er, „unambinioniert, nicht besonders schön, ökologisch bedenklich.“ Und doch, so erzählt Wendler: Je mehr er sich mit diesem billigen Stuhl beschäftigte, je mehr Menschen auf aller Welt er traf, deren Leben mit dem Sitzmöbel verknüpft ist, desto mehr wandelte sich seine Haltung.

Seinen Film „Monobloc“ sieht Wendler als einen wilden Ritt „einmal um den halben Globus“. Denn der milliardenfach hergestellte Stuhl hat es mittlerweile tatsächlich bis in die hintersten Winkel der Welt geschafft. Und sich teils gar unentbehrlich gemacht. Der Journalist Hauke Wendler hat ihm acht Jahre seine Lebens gewidmet: Neben dem Film über den Monobloc gibt es auch ein Buch und einen Podcast.

Fazit

Ein ebenso unterhaltsamer wie nachdenklich machender Dokumentarfilm. Und eine Hommage an einen Stuhl, der uns Fragen stellen lässt: nach der Haltung mit der wir auf die Welt sehen, nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit und auch danach, welches Bild wir Europäer hier abgeben. 

Wunderschön

Ein Film über weibliche Problemzonen und weibliches Selbstbewusstsein? Das soll unterhaltsam sein ohne zu verletzen? Oh ja! Die Regisseurin und Schauspielerin Karoline Herfurth beweist das gerade in den Kinos. Und sie macht das ebenso klug wie gelungen. In Zeiten, da die Selbstoptimierung für so viele Mädchen und junge Frauen zum Lebensinhalt geworden ist, trifft sie mit leichter Hand den Kern des Problems: Nicht (nur) das männliche Umfeld bedrängt Frau, an sich zu arbeiten. Die Frauen selbst machen (sich und den anderen) Druck. Und erwarten überdies, dass die Mühen der Selbstoptimierung keinesfalls zu sehen sind. Ein Hamsterrad ohne Bremse?

Fünf phantastische Frauen

Karoline Herfurth, die im Film auch die Hauptrolle übernommen hat, zeigt den ganz normalen Alltag von fünf Frauen. Zugleich verhandelt sie die großen und wichtigen Frauenthemen. Als da sind Emanzipation, Lebenskonzept, Zurückstecken eigener Visionen. Sie selbst jongliert als Sonja mit zwei Kleinkindern zwischen schlaflosen Nächten und einem ins Chaos kippenden Alltag. Freundin Vicky (Nora Tschirner) versucht, ihr mega-emanzipiertes Leben koste es was es wolle durchzuziehen. Die Schülerin Leyla (Dilara Aylin Ziem) ist dick und schleppt viel Familienerbe mit sich rum. Die Endfünfzigern Frauke (Martina Gedeck) entdeckt nicht nur den kritischen Blick in den Spiegel sondern auch viele Leerstellen im Leben.

Als Zuschauerin drückt man den tollen Frauen die Daumen: Mögen sie ihre Wünsche erkennen!

Einzig Model Julie (Emilia Schüle) hat anscheinend das große Los gezogen. Doch sie muss Höchstleistungen bringen: Vor der Kamera und bei Social Media hat sie stets und unermüdlich zu beweisen, wie super-toll sie drauf ist. Und zahlt schließlich den Preis dafür.

Fazit

Die Regisseurin verwebt die Lebens- und Alltagsgeschichten dieser Frauen und kann sich dabei auf die Qualitäten ihrer tollen Darstellerinnen verlassen. Sie machen die Figuren so sympathisch, dass man jeder von ihnen die Daumen drückt: „Mögen ihre Wünsche sich erfüllen“. Mehr noch: „Mögen sie ihre Wünsche erkennen“. Frau freut sich im Kino über einen Film, der weder Klamotte noch zur Tragödie ist. Sondern sondern klug und unterhaltsam.

Charlatan

Geschichten, die auf wahren Begebenheiten beruhen, erzählt das Kino derzeit ja besonders gerne. Auch die Geschichte des tschechischen Scharlatans ist so eine. In „Charlatan“ erzählt die polnische Regisseurin Agnieszka Holland über den tschechischen Naturkundler Jan Mikolášek (Josef Trojan als der jüngere, Ivan Trojan als älterer Mikolášek). Der hatte das Talent, anhand von Urinproben Krankheiten zu erkennen und mit Heilkräutern zu behandeln. Was ihm Ruhm und Reichtum einbrachte: In der Tschechoslowakei galt er vor dem Zweiten Weltkrieg als Wunderheiler. Und während der deutschen Besatzungszeit zählten auch etliche Nazi-Größen zu seinen Klienten.

Naturheiler mit Geheimnissen

Neben diesem öffentlichen Leben freilich stand das private Leben des Naturheilers, der mit seinem Assistenten František (Juraj Loj) zusammenlebte, seine Homosexualität aber abstritt. Als der tschechische Präsident stirbt, verliert Mikolášek auch dessen Schutz. Und der Scharlatan wird vom kommunistischen Regime schikaniert, schließlich verhaftet und in einem Schauprozess des Mordes angeklagt.

Ästhetisch

Ruhig und konzentriert schildert Agnieska Holland das Leben und die Arbeitsweise des erfolgreichen „Charlatans“. Und lässt sich bei den Bildern von dessen wichtigstem Diagnoseinstrument ästhetisch inspirieren: Fläschchen schütteln und ins Licht halten. Premiere feierte der Film bei der Berlinale 2020.

Fazit

Das „Handwerk“ des Heilers fasziniert ebenso wie seine Haltung zum Leben. Und die Bilder sorgen dafür, dass der Film einen fesselnden Sog ausübt.

@Foto: pier 53