Kino geht auch im Sommer. Und auch wenn es heiß ist. Wäre ja wirklich schade, viele schöne Streifen einfach zu versäumen. Unsere drei Filmtipps diesmal: eine ungewöhnliche Liebesgeschichte mit großen Altersgefälle (junger Mann liebt ältere Frau), ein Mafia-Thriller (mit vielen überraschenden Wendungen) und die wunderbare, anrührende Geschichte eines in die Jahre gekommenen Paares, dessen Liebe und Leben auf eine harte Probe gestellt wird.
AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe
Ältere Frauen im Kino? Vergiss es! Helen Mirren, July Dench oder Charlotte Rampling sind da die absolute Ausnahme. Und dann auch noch eine ältere Frau, die sich mit einem jungen Mann einlässt? Und das in einem deutschen Film? Lange nicht gesehen. Jetzt aber! Denn Nicolette Krebitz erzählt leichtfüßig eine Geschichte mit großer Fallhöhe: Eine Schauspielerin um die 60 – und damit in einem Alter in dem es schwierig wird, annehmbare Rollen zu bekommen – muss aus finanziellen Gründen die Grenzen des Schauspielerberufs ausloten. Sprich: u. a. Sprechunterricht geben.
Die phantastische Sophie Rois (Theaterstar in Berlin, früher, ja auch mal im „Tatort Wien“ als Assistentin von Moritz Eisner unterwegs) spielt diese Frau mit der ihr eigenen Art: kratzbürstig nicht nur mit ihrer Stimme. Vielmehr brilliert sie mit den Blicken ihrer Katzenaugen, mit ihrer Mimik. Kratzbürstig – und doch so sehnsüchtig und nach wie vor neugierig aufs Leben, ist sie. Zart neugierig darf man sagen – ohne „Ich-lass-es-jetzt-nochmal-krachen-Mädels“ sondern mit Stil. Und zugleich einer Mädchenhaftigkeit, die der Hauptfigur selbst nicht bewusst ist.
Ein sehr junger Mann wird ihr Sprachschüler, gespielt von Milan Herms, ebenfalls bekannt als Theaterschauspieler. Der, gutaussehend, charmant, unbekümmert wie Anfangszwanziger nun mal sind, hat durchaus seine dunklen Seiten – und ist mit einigen Wassern gewaschen.
„Alles fängt mit A an“, sagt Sophie Rois zu Beginn des Films aus dem Off. Und so fangen auch Schauspielerin und Schüler, ganz von Anfang an. Sie sprechen, sie spielen – und sie kreisen umeinander. EIOU finden da gar nicht mehr statt. Vielmehr taumeln die Beiden in eine unwahrscheinliche Lovestory. Man muss sie nicht verstehen: Es genügt, sie 104 Minuten lang anzusehen. Sich zu freuen, wenig nachzudenken – und sich an die Cote d’Azur zu träumen.
Premiere feierte der Film auf der diesjährigen Berlinale.
Unser Fazit: Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die sich endlich mal eines traut: zu zeigen, wie ein sehr junger Mann eine ältere Frau begehrt. Gegen alle gesellschaftlichen Normen, einfach weil beide dem Moment folgen.
Zu heiß fürs Kino? Immerhin gibt es ja auch Freiluftkinos. Und die klassischen Kinogänger treffen sich ohnehin traditionell nach dem Film zu Freiluftbier und Filmanalyse.
The Outfit
Chicago in den 1950er Jahren. Al Capone ist tot, doch seine Organisation, „The Outfit“, beherrscht immer noch die Stadt. Der Herrenschneider Leonard hat mit all dem nichts zu tun. Oder fast nichts. In seinem Laden im 50er-Jahre-Design, dem sich die Schneiderwerkstatt anschließt, widmet er sich ausschließlich der Herstellung handgemachter Outfits. Vom Maßnehmen über die Schnitterstellung bis zur Handfertigung der Nähte. Sehr beschaulich und gemütlich.
Wären da nicht Herren in Mantel und Hut (tiefgezogen natürlich), die ebenso schweigsam wie regelmäßig durch die Werkstatt spazieren – und einen „toten Briefkasten“ nützen. Leonard sieht schon gar nicht mehr hin. Und seine Assistentin Mabel, ein taffes, hübsches Mädchen, sieht zwar hin; doch ist sie mehr mit ihren Zukunftsplänen beschäftigt als mit der Gegenwart.
So sieht’s aus im Schneiderladen. Bald aber zerfällt das Setting, gerät aus den Fugen. Chicagos Mafia-Clans bringen sich gegeneinander in Stellung. Die Wege der drei Bosse kreuzen sich ausgerechnet in der Schneiderwerkstatt.
Der Drehbuchautor Graham Moore liefert mit dem Film sein Regiedebüt ab – mit viel Liebe zur Handlung und zur Ausstattung. Zudem hat er mit u. a. dem Briten Mark Rylance als Leonard und Zoey Deutch als Mabel großartige Schauspieler verpflichtet, die das Kammerspiel rundum zum großen Vergnügen machen.
Unser Fazit: Ein klug gemachter, spanndender Film, der durch seine detailgenaue Ausstattung ebenso fasziniert wie durch die überraschenden Wendungen in der Handlung.
Ein großes Versprechen
Juditha und Erik sind schon Jahrzehnte verheiratet. Judithas schwere Erkrankung – sie leidet schon länger an Multipler Sklerose – tut ihrer Zuneigung, ihrer Liebe keinen Abbruch. Seit vielen Jahren haben sie das Leben und die Krankheit mit ihren Begleiterscheinungen soweit im Griff. Doch ausgerechnet dann, als Erik pensioniert wird, verschlechtert sich die Krankheit und verändert Judithas Alltag (und ihre Hilfsbedürftigkeit) von Tag zu Tag dramatisch. Die Enge und Unentrinnbarkeit der Situation stellt nicht nur die Beziehung auf eine dramatische Probe. Sie fordert auch beide Eheleute extrem heraus: Juditha verweigert anfangs jede Hilfe und Mitgefühl, Erik ist letztlich völlig überfordert von der Situation.
Dagmar Manzel – vom Theater ebenso bekannt wie vom Film und seit langem als „Tatort“-Kommissarin im Fernsehen – spielt Juditha so anrührend, dass der Zuschauer ihr gebannt durch alle Tiefen folgt. Schonungslos macht sie den körperlichen Verfall sichtbar – und zeigt zugleich, wie sich auch in dieser Situation Freiheit gewinnen lässt. Rolf Lassgard als Erik, bekannt als Darsteller des Kommissar Wallander, ist die ideale Besetzung für Erik: einem Mann, der ebenso viel Verständnis zeigt wie auch eine schmerzliche Ratlosigkeit gegenüber seiner Situation.
Unser Fazit: Regisseurin Wendla Nölle, deren Mutter selbst an MS litt, erzählt in leisen Tönen auch von der Tragik einer MS-Erkrankung. Vor allem aber erzählt sie von einer großen, lebenslangen Liebe.
Foto: @kangi