Frisch von der Berlinale: Kinotipps

Bärenparade in Berlin. Sehenswerte Filme gab es auf der Berlinale 2022 aber auch abseits des offiziellen Wettbewerbs.

Die Menschen wollten gemeinsam Filme sehen! Das hat die diesjährige Berlinale bewiesen – und ein ausgeklügeltes Hygienekonzept hat es möglich gemacht. Etliche der dort gezeigten Filme dürften demnächst auch regulär im Kino anlaufen. Wir präsentieren unsere Berlinale-Highlights – für alle, die nach der Apotheke noch gern ins Kino wollen.

Die Kinos nur halb besetzt, die Tickets nur online erhältlich, FFP2-Maske Pflicht, zwingend notwendig der Nachweis von Boostern oder doppelter Impfung plus Test. Die Vorgaben an die Besucher der diesjährigen Berlinale waren groß. Doch Beschwerden gab es selten – das lag auch an der perfekten Organisation von Einlass und Kinoaufenthalt und der Disziplin der Besucher. Und so wurden trotz allem 140 000 Eintrittskarten für die diesjährige Berlinale verkauft.

Anders als die Berlinale 2021 ging das bedeutende Filmfestival diesmal wieder als Präsenzveranstaltung über die Bühne. Wenn auch mit weniger Filmen als sonst und etwas verkürzt. Wir zeigen, welche Streifen uns besonders beeindruckt haben. Fortsetzung folgt.

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung hat sie auf der Berlinale 2022 völlig zurecht bekommen: Die Comedienne Melten Kaptan spielt Rabiye Kurnaz derart umwerfend, temperamentvoll, kämpferisch und zugleich liebenswert, dass man alleine schon ihretwegen den Film von Andreas Dresen gesehen haben muss. Mit großem Einfühlungsvermögen und Alltagshumor beschreibt der deutsche Erfolgsregisseur (bekannt geworden u. a. durch Filme wie „Halbe Treppe“), wie die Haft ihres Sohnes Murat in Guantanamo Rabiye Kurnaz unversehens aus ihrem beschaulichen Bremer Alltag auf die Bühne der Weltpolitik schleudert. Und wie sie sich dort bewährt. Laila Stieler wurde zudem mit einem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Bereits für Dresens Film „Gundermann“ war Stieler preisgekrönt: mit dem Deutschen Filmpreis, der Lola, ebenfalls fürs beste Drehbuch.

Bärengewinnerin Meltem Kaptan – deutsch-türkische Moderatorin, Comedienne, Autorin, Schauspielerin – macht den Film zum Ereignis.

Mutzenbacher

Ebenfalls preisgekrönt (als bester Film der Sparte „Encounters“) und ebenfalls sehenswert: ein dokumentarischer Film der Österreicherin Ruth Beckermann. Die vielfach ausgezeichnete Regisseurin hat sich diesmal den Skandalroman der Wiener Moderne zum Thema genommen: „Josefine Mutzenbacher“, 1906 anonym veröffentlicht. Nach einem Castingaufruf bat sie Dutzende Männer vor die Kamera und darum, sich mit dem Roman auseinanderzusetzen: lesend, in einer Performance oder kommentierend. Herausgekommen ist eine ebenso kluge wie kurzweilige und witzige Doku über das Verhältnis dieser Männer (oder des Mannes?) zur Sexualität. Sehr sehenswert.

Rimini

Wer Ulrich Seidl liebt, darf mit ihm diesmal einen Winter in „Rimini“ verbringen. Der Österreichische Filmemacher mit seiner ganz besonderen Art, Menschen und deren Alltag zu beobachten (etwa in der Trilogie „Paradies Liebe“, „Paradies Glaube“, „Paradies Hoffnung“, erzählt diesmal von einem abgehalfterten Schlagerstar. Richie Bravo hat seine besten Zeiten längst hinter sich. Im kalten Rimini singt er sich in die Herzen reifer Urlauberinnen – und in deren Betten. Finanziell knapp, kommt es auf jeden Euro an. Vor allem dann, als plötzlich seine Tochter auftaucht. Und ihn schmerzlich konfrontiert: mit seiner Vergangenheit, seinem Versagen, den Bedrohungen der Gegenwart. Klingt hart, ist es auch – doch wirkt nach. Sehr sehenswert.

Good Luck to You, Leo Grande

Ein Star als Lehrerin im Ruhestand. Emma Thompson spielt Nancy Stokes, die noch nie im Leben einen Orgasmus hatte. Nun, da ihr Ehemann verstorben ist und die Zeiten von Routinesex vorbei sind, nimmt sie die Dienste des jungen Sexarbeiters Leo Grande in Anspruch. Emma Thompson wäre nicht sie selbst, wäre dieser Ausflug in Hotelbetten nicht mit ebenso unterhaltsamen wie klugen und kurzweiligen Gesprächen zur Sexualität im Allgemeinen und die der Frauen im Besonderen verbunden. Die großartige Emma Thompson rockt diesen Film, gedreht von der australischen Regisseurin Sophie Hyde. Sehr sehenswert.

AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe

Liebe, Sexualität, Frauen jeden Alters – Stichworte für Themenbereiche, wie sie viele Filme der Berlinale 2022 ansprachen. So auch der neueste Film von Nicolette Krebitz. Die einzigartige Sophie Rois verkörpert eine in die Jahre gekommene Schauspielerin die erkennen muss: Der Glanz des Ruhms ist verblasst. Ein widerwillig angenommener Job als Sprachcoach für einen 17-jährigen Außenseiter mit Sprachstörung soll ein wenig Geld in die Kasse bringen. Doch die Geschichte nimmt völlig andere Wendungen … Mit schönen Bildern, schönen Menschen, viel Humor und einem Sinn für große Fallhöhen steuert uns Krebitz durch dieses schnelle Alphabet – ein Plädoyer für die Liebe.

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